Der Rabensteiner Wald vor 300 Jahren - Nach einem Riß vom Jahre 1621

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Quelle: Rudolf Weber in "KULTUR UND HEIMAT" - MONATSBLÄTTER DES DEUTSCHEN KULTURBUNDES -
KREIS KARL-MARX-STADT / LAND, Ausgabe 1960 Januar und Februar

Tausende von Naturfreunden richten seit Jahrzehnten im Sommer und Winter ihre Schritte nach dem Rabensteiner Wald und suchen dort Erholung. Weithin hebt sich der ausgedehnte waldige Höhenrücken aus der umgebenden Landschaft, heute noch besser durch den neuen Turm auf dem höchsten Gipfel, dem Totenstein, markiert. Nach allen Seiten können die Wanderer das weite Waldgebiet nach Herzenslust durchstreifen. Für sie mag die Frage interessant sein: Wie sah es vor Jahrhunderten im Rabensteiner Wald aus? Darüber gibt uns ein Riß Aufschluß, der von dem kurfürstlichen Markscheider Balthasar Cimmermann im Auftrage des Kurfürsten Johann Georg I., dessen Hauptleidenschaft die Jagd war, im Jahre 1621 angefertigt wurde.

Der Rabensteiner Wald gehörte zu den Jagdrevieren des feudalen Herrn. Deshalb mag ihm an einer genauen kartographischen Darstellung gelegen haben. Dem Volke war das Jagdrecht versagt. Wehe dem, der bei dessen unerlaubter Ausübung ertappt wurde! Die gewöhnlichen Sterblichen durften höchstens Leseholz im Walde holen, aber das war nicht ganz ungefährlich, trieben doch noch im Jahre 1650, wie urkundlich festliegt, Wölfe darin ihr Unwesen. Der erwähnte Riß liegt im Landeshauptarchiv zu Dresden. Heute noch, nach 300 Jahren hat man seine Freude an den kaum verblichenen Farben und an der meisterlichen Zeichnung. Leider kann man beim Druck die Feinheiten nicht so wiedergeben, wie man gern möchte. Auch beim Klischieren sind einige Ungenauigkeiten entstanden. Der Kartenkundige wird bemerken, daß Nord und Süd, Ost und West vertauscht sind.

Beim Betrachten des Risses fällt zuerst das zeichnerisch gut durchgearbeitete Waldgebiet auf. Alles was auf dem Risse dunkel erscheint, war damals kurfürstlicher Wald. Die hellen Stellen sind Privat- oder Gemeindewald. Der kurfürstliche Wald wird als ins „Ambt Kempnitz gehörig" bezeichnet. Das war nicht immer so. Der gesamte Wald und die angrenzenden Dörfer waren ehemals Besitz der Herrschaft Rabenstein und der Familie von Waldenburg zu eigen. Die Waldenburger zählten zum höchsten Adel des Meißner Landes, übten die Gerichtsbarkeit von Chemnitz aus und waren Vögte des Benediktinerklosters daselbst. Das Geschlecht sank aber allmählich von seiner Macht herab. 1375 mußte es die Herrschaft Rabenstein an das Chemnitzer Kloster verkaufen. In der Reformationszeit ging Rabenstein mit dem Wald in den Besitz der Wettiner über. Diese verwalteten die Herrschaft vom Bergkloster Chemnitz aus, das sie in ein Schloß verwandelten (daher Schloß, Schloßkirche, Schloßteich). Auf dem Schloß wurde ein kurfürstliches Amt eingerichtet. So erklärt sich der stets wiederkehrende Zusatz „Dorff Grüna ins Ampt Kempnitz, Dorf Wüstenbrandt ins Ampt Kempnitz, Dorff Pleüsa ins Ampt Kempnitz" usw. Wenn wir die Ausdehnung des kurfürstlichen Waldes mit der Größe des heutigen Volkswaldes vergleichen, so stellen wir kaum eine merkliche Veränderung fest. Seine Grenzen kann man auf Spaziergängen leicht ausfindig machen, wenn man auf die Grenzsteine mit den gekreuzten Kurschwerten achtet. Privatwaldungen umrahmen diesen, wenn auch nicht mehr in dem Umfang wie vor 300 Jahren.

Uns zunächst (im Norden) ist fast die ganze Seite nicht in kurfürstlichem Besitz: „Am Krahmerbergk", „Pleüßner Gemein". An der Nordostecke sind das „Lebenhainer Holtz", das Rörßdorfer Holtz", die „Rabensteiner bauernhöltzer" als Privatbesitz gekennzeichnet. Auf der Rabensteiner Seite war nur ein schmaler Streifen - am Hang nach Grüna zu - Bauernwald. Bei Wüstenbrand taucht auf einmal „Schönbergks Holtz zu Limbach" und „Schönbergksteich" auf. Dem ersten Schönberg auf Limbach wurde schon 1526 vom Abt Hilarius die Anwartschaft auf Lehen in Grüna und Reichenbrand - und um Teile davon handelt es sich hier - für den Fall übertragen, daß die bisherigen Besitzer, die Meckaus auf Limbach, ausstarben. Heute führt Schönbergs Teich den Namen Herrenteich. Der ehemals Schönbergische Wald ist nahezu verschwunden. Viel Bauernwald gab es nach dem oberen Ortsteil von Pleißa und Wüstenbrand zu: „Des Richters Holtz", „Matz Vogels Holtz", „Gebrüchicht".

Wenn wir uns den Wegeverhältnissen zuwenden, so machen wir die überraschende Beobachtung, daß sich bis in die Gegenwart viele Wege erhalten haben, wenn auch manche durch die Autobahn zerschnitten und etwas verlegt werden mußten. Wir scheiden erst einige neuere Straßenbauten aus, so die Wüstenbrander Staatsstraße, die wir uns am Dorf Pleißa entlang, dann rechts an des Pleißner „richters dicken fichten pusch" vorüber nach Süden, den „Weg der Lochgraben" kreuzend ungefähr auf „die holtz wiese" verlaufend denken müssen. Sie wurde in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts erbaut. Wir überlegen uns auch, daß die Wüstenbrand-Limbacher Eisenbahnlinie, die von „Schadensteich" in Rabenstein in Richtung des „Grüne Weges" bis zu dem „Born" bei „Matz Vogels winckel" (in der Nähe des heutigen Altersheims in Grüna) den Wald kreuzt, umgestaltend wirkte. Aber sonst treffen wir meist bekannte Wege. Da ist vorerst die Pleusner Stras vf Wallenburgk" zu nennen (5), eine uralte Straße, die wahrscheinlich schon aus der Zeit der Waldenburger (vor 1375)stammt. Sie stellte die Verbindung der beiden Herrschaften Waldenburg und Rabenstein her, auf dem Meßtischblatt Bergstraße genannt. Sie kreuzt die „Kendler Stras (6), die heutige Staatsstraße nach Rabenstein. Ganz deutlich tritt auch die Straße hervor, die wir jetzt als Totensteinstraße kennen. Auch hier handelt es sich um einen alten Straßenzug, der von Westen nach Osten über dem Höhenrücken verlief und vor der Hofer Straße vorhanden war. Die Totensteinstraße beginnt auf dem Riß etwa am „Lochengraben" und wird im mittleren Stück als der „lange Flügel" bezeichnet. An einem Wegestern, auf dem Riß „Thiergarten", auf einer älteren Karte „Saugarten" genannt, wahrscheinlich weil dort Wildschweine gehegt wurden, teilen sich die Wege.

Wir gehen wohl nicht fehl, wenn wir den Wegestern in dem Punkt 444,9 des Meßtischblattes vermuten, von dem auch heute verschiedene Wege nach allen Richtungen abgehen. Einer senkt sich hinab in das Tal des Oneritzbaches, dessen Wasser das Mühlrad der Pelzmühle bewegte. Der Weg ist noch teilweise in der Nähe des Gussgrundes zu begehen. Der Gußgrund heißt auf dem Riß „Jobstgrundt". Der Bach, der sich in ihm hinunterschlängelt, ist der „Jostbrun". Nach Dr. Steinbrück wird Ende des 16. Jahrhunderts in Rabenstein ein Ritter Jobst (von Carlowitz) beurkundet. Nach ihm könnten die beiden Flurnamen entstanden sein. Zwei Teiche liegen am Austritt des Weges aus dem Walde der „Grüne teich" (gegenwärtig Brettteich) und der „Foreln teich". Der letztere lag in der Nähe der Lochmühle. Die zweite Abzweigung vom Thiergarten aus war der „Brückleßweg". Er steuert direkt auf das „Alte Schloß Rabenstein" zu. Beim Verlassen des Waldes kam man an die „geßner güter". Diese Bauerngüter sind nicht etwa im Besitz eines Geßner gewesen. Sie gehören vielmehr zur Gasse, d.i. das Dorf Oberrabenstein. Die Erbschenke daselbst hieß noch 1834 „Gäßner Gasthof". Eine dritte Abzweigung vom Thiergarten verläuft nach Nordosten zu den Rabensteiner und Röhrsdorfer Bauernhölzern. Nach Süden verläßt sie den Wald bei „Matz Bartels winckel" (heute Forstweg).



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Mehrere Wege kreuzen diese lange Nordsüdlinie, zuerst der „Steinweg" (3). Wir entdecken ihn jetzt in dem Flügel 3. Von Rabenstein wendet er sich über Punkt 442 (früher „an der Kolbe") hinab zu den Berghäusern in Pleißa. Dann nennt uns der Riß den „drescherweg" (4). Auch er ist als schmaler Waldsteig erhalten. Seinen Namen hatte er vermutlich von den Dreschern, Bauern aus Pleißa, die auf dem Rittergut Oberrabenstein ihre Fronpflichten zu erfüllen hatten, wozu auch das Dreschen gehörte. Am „teichgrundt" begegnete der „drescherweg" dem eisenflößel". Nicht weit davon rann das „trenck brünlein". Als Eisen- und Tränkbach ergießen beide wie ehedem ihr klares Wasser in die Reihe von Teichen, die sich vom Waldrande bis zum Schloß Rabenstein hinabziehen.

Die nächsten Querstraßen, die „Pleusner Stras vf Wallenburgk"(5) und die „Kendler Stras (6) fanden bereits Erwähnung. Da wo heute die Autobahn sich hinab in das Tal des Auritzbaches schwingt, schloß der kurfürstliche Wald als „Gerstenhain" an Privatwälder an. Liebliche, kaum begangene Täler erfreuen dort den Wanderer auch heute noch: der Engelsbrunnen (auf dem Riß „Paul Aurichs Born") und der Engelsbach („Lindners graben") mit einem Nebenbächlein aus „Georg Aurichs Born", der Forellenbach (früher die „goldwesche"). Der Limbacher, der an Sonntagen seine Schritte zum Rabensteiner Wald lenkt, benutzt meistens die alte Grünaer Straße an der Nitzschemühle hinaus. Auf dem Riß erkennen wir sie als „der vndere mülweg" (7) wieder, weil sie bei „Lorentz müllers mül" im Unterdorf Pleißa ihren Anfang nimmt. An der „Creutz Thannen" östlich des Totensteins überquert sie die Totensteinstraße. Rechts von der „Creutz Thannen" erhebt sich der „große todt Stein", unser Totenstein, dessen Name weiter nichts besagen will, als dass hier Felsen, d.s. taube Steine, liegen, die für den Bergmann keinerlei Wert haben. Nicht weit vom nächsten Querweg (8) begegnet uns auf dem Riß der „Kleine Todstein", in dem wir die Felsen des jetzigen Eichelberges feststellen. Der „Uneritzweg" (9) würde uns heute von den Berghäusern in Grüna herauf und den Eichelberg hinab nach Pleißa bringen. Suchen wir in der Gegenwart den „Lochengraben" auf der Karte, so vermuten wir ihn in dem abwechslungsreichen Pfad, der uns im Auf und Ab von der Wüstenbrander Staatsstraße zur Tannmühle gelangen läßt. Diese Mühle ist auf dem Riß merkwürdigerweise nicht genannt, obwohl sie sicher ein hohes Alter hat. Sollte es damit zusammenhängen, daß sie zu Meinsdorf gehörte, also schönburgisch war?

In liebevoller Weise hat unser Markscheider Cimmerman Pleißa dargestellt. Zwar können wir den Oberlauf des Pleißenbaches nicht wahrnehmen, aber in einem Seitentale eilt ihm wie heute der Einsprungbach zu („flößel am einsprungk"). Der heutige Schützteich ist angedeutet, er liegt kurz vor der Einmündung des Baches, der vom Kühlen Morgen herabkommt. Auch an diesem Seitenbächlein bemerken wir zwei Teiche. Im Pleißenbach vereint, eilen die Wässer dorfwärts der Kirche von Pleißa zu, die sich durch einen spitzen Turm auszeichnet. Die Vermutung liegt nahe, daß die alte Pleißaer Kirche auch spitztürmig war wie die Limbacher, Langenchursdorfer u.a. Nicht angegeben auf dem Riß ist das alte Lehngericht. Aber auf einer Karte, die etwa 20 Jahre älter ist, von Oeder gezeichnet, steht an der Kirche geschrieben „der richter vier mal gengkvndbrett mül am Haus". Die Felder des Lehngerichts lagen nach dem Rußdorfer Holze zu, ein Teil aber, namentlich die der Mühle, nach dem Rabensteiner Wald hin, worauf des „Richters dicker fichtenpusch" hinweist. Links und rechts des Pleißenbaches sind Bauerngüter angedeutet. Die Mühlen werden als besonders wichtig mit ihren Besitzern aufgeführt: „Paul Müllers mül 1 gang v. bretmül" (Spranger). Die Grundstücke umfassten eine halbe Hufe und erstreckten sich zum Rabensteiner Walde hinaus. Dann folgt „Lorentz müllers mül 1 gangk vnd bretmül" (Nitzschemühle). 1 ½ Hufen gehörten dazu. Die Grundstücke liegen östlich an der Grünaer Straße hinaus zum Rabensteiner Wald. Zwischen beiden letztgenannten Mühlen sind in einem Talgrund drei Teiche eingezeichnet. Der unterste ist heute noch mit Wasser gefüllt, vom zweiten sieht man noch den Damm, der dritte ist verschwunden. Als letze Mühle ist „Michel Hütters mül 1 gangk bret mül" erwähnt, die alte Klausmühle. Die Klausstraße ist auf dem Grund und Boden dieser Mühle entstanden. 1 ½ Hufe machte das Mühlengut aus. Hütters Mühle gegenüber stoßen wir auf einen großen Teich "Der Pleüsner teich M. Gn. H.", „ins Ambt Kemnitz". Die Abkürzung M.Gn.H. bedeutet „meinem gnädigen Herrn". Gemeint ist damit der Kurfürst, der Herr des Markscheiders. Auf der Karte von Oeder heißt der Teich der „Pleisner legeteich". Legen ist laichen. Der Teich diente zur Klosterzeit als Laichteich. In der Gegenwart suchen wir vergeblich nach diesem Teich. Wo einst Fische für das Kloster gezüchtet wurden, breitete sich später Löbels Bleiche aus. In Kändler, etwas seitwärts vom Pleißenbach, wird „Schönbergks mül 2 geng vnd bret mül" aufgeführt. Es ist die spätere rote Mühle (der „Rote Färber"). Nach Seydel befand sie sich 1575 schon im Besitz Georgs von Schönberg auf Limbach. Sodann ist von Kändler noch „Dobenecks Haus im Kändler, so itzo gröbel innen hat" vermerkt. Es ist das Volksgut Kändler. Auf dem Riß steht es allerdings südlich des Baches entgegen seiner wirklichen Lage. Der Zeichner muß hier eine Ungenauigkeit begangen haben; denn auf einem Riß von 1628 ist Gröbels hoff deutlich links des Baches eingezeichnet.

Die vorstehende Betrachtung des Risses vom Rabensteiner Wald zeigt uns, dass dem heimischen Waldgebiet eine große Beständigkeit anhaftet. Das Zeitgeschehen ringsum hat mancherlei Wandlungen mit sich gebracht. Der Wald ist davon ziemlich unberührt geblieben. Möchte er auch in Zukunft erhalten bleiben als wertvolles Volkseigentum und als Erholungsstätte möglichst vieler Werktätigen.

Quellen: Cimmermann, Riß vom Rabensteiner Wald, Landeshauptarchiv, Seydel, Rittergut und Dorf Limbach Sa., Steinbrück, Geschichte der Herrschaft Rabenstein, Ur-Oeder, Blatt 100.

Anm. d. Red.: Wie wir soeben erfahren, ist der gesamte Rabensteiner Wald einschließlich des Pfaffenberggebietes (bei Hohenstein-Er.) als Naherholungsziel für das Industriegebiet Karl-Marx-Stadt zum Landschaftsschutzgebiet erklärt worden.



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