Der Claußnitzer Arzt Christian Heinrich Junghans

Quelle: F. O. Schmidt, Claußnitz in "KULTUR UND HEIMAT" - MONATSBLÄTTER DES DEUTSCHEN KULTURBUNDES -
KREIS KARL-MARX-STADT / LAND, Ausgabe 1961 November


Das erstemal begegnete mir der Name von Junghans im Pfarrarchiv in dem Rechnungsbuch "Einnahme auf Hochzeiten", das vom Schulmeister Johann Christoph Esche 1734 angelegt und von ihm und seinen Nachfolgern geführt worden ist. Auf einer einzigen Seite des Buches sind Kirchenstrafen verzeichnet, und da steht u.a.: "10 Gr. von H. Christ. Heinr. Junghanßen wegen Kegelschieben unterm Gottesdienst." Später fand ich auch das vom Amt Wechselburg am 28. Oktober 1780 gefällte Urteil wegen des am 9. Juli unter dem Nachmittagsgottesdienst mit etlichen Strumpfwirkern unternommene Kegelschieben, nach dem Chr. H. J. dieses gerügten und zum Teil eingestandenen Ungebührnisses halber um 10 G., dem Gotteshause zu Claußnitz verfallen, zu bestrafen und zur Abstattung der verursachten Unkosten anzuhalten war.

Chr. H. Junghans, Chirurgus in Claußnitz, hatte 1776 die Witwe des Claußnitzer Chirurgen und Amtsrichters Immanuel Gottlob Gläser geheiratet, der das Haus auf der Chemnitzer Straße gehörte. Er war 1752 in Hohenstein geboren als Sohn des dortigen Regimentfeldschers und Stadt- und Ratschirurgen gleichen Namens und seiner Frau Christiane Sophie Sieber. Seine Frau starb bereits 1778 , und er heiratete 1780 Johanne Rosina, die Tochter des Strumpfwirkermeisters Gottfried Wähner. Bei seiner 2. Trauung wurde Junghans als "Barbier und Chirurgus" aufgeboten. Vermutlich hatte er für das Barbierhandwerk einen Gehilfen; denn ein Taufeintrag von 1781 nennt als Taufzeugen " Monsieur Johann Wilhelm Hertzog", jetzt Barbiergeselle allhier und aus Hohenstein gebürtig.

Wahrscheinlich bot das von seiner ersten Frau ererbte Grundstück auf der Chemnitzer Straße 164 nicht genügend Platz zu gleichzeitiger Aufnahme mehrerer Kranken. 1784 starb ein Patient, der wegen eines großen Schadens am Kopf bei ihm in Behandlung war, bei dem Wagnermeister Kreißig. Daher tauschte Junghans 1792 mit dem Leinweber Adam Wilhelm Hahn und zog in dessen Haus auf der oberen Dorfstraße 147.

Da ihm vermutlich bei Ausübung seines Berufes Schwierigkeiten entstanden, richtete Junghans 1796 eine Eingabe an den Kurfürsten, die Behandlung innerer Krankheiten fortsetzen zu dürfen. Seit ungefähr 23 Jahren habe er in hiesiger Gegend die Chirurgie getrieben und sowohl durch fortgesetztes theoretisches Studium als auch durch die Ausübung der Praxis nicht nur seine Kenntnisse in der Chirurgie erweitert, sondern sich auch mit der Heilung der inneren Krankheiten bekannt zu machen gesucht. Bei der großen Volksmenge in dieser Pflege sei die Anwesenheit eines Arztes notwendig, und es fehle doch daran. In Claußnitz und den eingepfarrten Dorfschaften, die ungefähr 2000 Menschen zählten, sei keiner und ebensowenig in den 2 Stunden entfernten Städten Mittweida und Burgstädt.In den 3 Stunden von hier entlegenen Wechselburg halte sich zwar der "rochlitzische Amtsphysikus Redlich" auf, den aber eigentlich die Gerichtsherrschaft bezahle und der bei aller Tätigkeit nicht allen Bedürfnissen gerecht werden könne. Sowohl auf Veranlassung des letzteren als auf dringende Bitten Notleidender, die in kritischen Augenblicken der Krankheiten ohne die geringste Hilfe gewesen wären, habe er schon vor einiger Zeit Dienste geleistet, soweit das seine Kenntnisse zuließen. Unter Beziehung auf die beiliegenden Zeugnisse und nach dem Verlangen seiner Obrigkeit und vieler Familienväter wünsche er die Ausübung der Arzneikunde für innere Krankheiten mit Höchster Erlaubnis fortsetzen zu dürfen.

Er bitte daher, daß S. Kurfürstliche Durchlaucht ihm solche nach vorgängiger Prüfung in deutscher Sprache bei dem Sanitätskollegium zu erteilen geruhen wolle. Der obengenannte Amtsphysikus gab ihm das Zeugnis eines geschickten Wundarztes, den er "in praxi clinica" als einen Stellvertreter in vielen Fällen mit Nutzen gebraucht habe und unter seiner Direktion noch brauche. Gleichartige Zeugnisse erteilten ihm der Regiments-Chirurgus vom Regiment Prinz Maximilian in Chemnitz und der Schönburgische Justitiarius zu Wechselburg, wohin das Dorf Claußnitz gehörte. Der Kurfürst befahl darauf, Erkundigungen einzuziehen, ob im Hinblick auf die persönlichen Eigenschaften des Supplikanten oder die Umstände des Ortes seines Aufenthaltes dem Ansuchen ein erhebliches, solchenfalls zu seiner ferneren Entschließung anzuzeigendes Bedenken entgegen stehe, und, daferne der gleichen Bedenken nicht vorkäme, die weitere Vorkehrung zu treffen, daß der Supplikant bei dem Sanitäts-Collegio zur Prüfung seiner und der Arzneiwissenschaft besitzender Kenntnisse in deutscher Sprache examiniert, auch, wenn er bei solcher Prüfung hinlängliche Geschicklichkeit beweise, ihm die Erlaubnis, praxin medicam zu treiben, erteilt werden möge.

Die Patienten von Junghans kamen nicht nur aus der näheren Umgebung (Burgstädt, Göppersdorf, Wiederau, Ottendorf, Ebersbach), sondern auch aus größeren Entfernungen (Drogen bei Altenburg, Weißenfels, Glauchau, Altenburg, Friedersdorf bei Bautzen).

Einige Fälle, in denen seine Kunst keine Hilfe bringen konnte, erfahren wir aus dem Begräbnisbuch der Claußnitzer Kirche 1784, 1788, 1798, 1799, 1809, 1817, 1822; auch seine zweite Frau starb 1806 an einem ansteckenden Nervenfieber.

In den " Heimatbildern der Kirchfahrt Wiederau" erzählt Pfarrer Manitius von einer erfolgreichen Kur durch Junghans. 1805 brachte Frau Marie Sophie Knoll ihren Mann zu ihm, der stets melancholische Personen bei sich hatte. In dieser Art Krankheit waren ihm schon einige Erfolge beschieden. Knoll war schwermütig geworden und hatte die ganze Nachbarschaft durch sein tumultuarisches Wesen in Aufregung versetzt. Junghans berichtete ans Amt Wechselburg, Knoll sei dermaßen rasend, daß er mit Ketten angehängt und zur Vermeidung von Unglück verwahrt werden müßte. Der Chemnitzer Amtsphysikus Knorr hatte den Kranken untersucht und ihn als unheilbar befunden. Die 15 Wochen dauernde Behandlung bei Junghans habe keine Besserung gebracht, und Knoll sollte in einer Versorgungsanstalt untergebracht werden. Aber ehe es dazu kam, meldete Junghans 1806, Knoll sei wiederhergestellt. Ein anderer Fall über eine glücklich verlaufende Kur des Junghans ist aus dem Jahre 1818 bekannt. Im "Privil. Zittauischen monatlichen Tagebuch" vom Juni 1818 lesen wir auf Seite 94 folgenden öffentlichen Dank: "Dem verdienstvollen Medicinae Practico, Herrn Christian Heinrich Junghans zu Claußnitz zwischen Chemnitz und Rochlitz danket hierdurch öffentlich mit gerührter Seele für die glücklich vollendete Kur seines zerrütteten Gemüthszustandes und der dabei überaus rühmlichen, humanen Behandlung.... Christian Friedrich Förster, Orgel- und Instrumentenbauer, Altenberg".

In besonderer Weise dankte die Familie des Diethensdorfer Müllers dem Claußnitzer Arzte, indem sie ihm eine 100 Gramm schwere silberne Medaille von 94 mm Durchmesser widmete. Diese befand sich 1830 in der Münzsammlung des Dresdner Magisters Karl-Friedrich Wilhelm Erbstein. 1911 gelangte sie in den Besitz des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg und wird seitdem dort aufbewahrt. Als Schmuck trägt sie das von Lorbeerzweigen umrahmte Bild eines bekränzten Altars mit Opferfeuer. Die auf beiden Seiten verteilte Inschrift lautet: " Dem verdienstvollen Herrn Junghans, Medico Practico zu Claußnitz, weihen dieses Denkmal aus Dankbarkeit für die Herstellung ihrer theuren Gattin und Mutter Johann Gottlob Müller, Gatte, Carl August Müller, Christina Eleonore verh. Vollertin, Friedrich Leberecht Müller, Johann Gottfried Müller, Johann Gotthelf Müller, Christiana Henriette verehel. Netzoldin, Saemtlich Kinder".Auf der Rückseite steht über den Namen in einem Schriftband: " Dem Verdienste die Krone".

1819 untersagte König August dem Junghans die Behandlung wahnsinniger und syphilitischer Personen für die Zukunft gänzlich sowie die Annahme schwerer, bedenklicher und sehr gefährlicher Kranker ohne Einbeziehung des Physikus. Jeden Übertretungsfall sollte der Claußnitzer Pfarrer(!) unverzüglich der Amtshauptmannschaft mitteilen, und Junghans sollte für jeden solchen Fall eine Geldbuße von 20 Talern zahlen.

Christian Heinrich Junghans starb am 3. April 1823, ohne leibliche Nachkommen zu hinterlassen. Seine alleinige Erbin, Frau Johanna Dorothee geb. Berthold übernahm das hinterlassene Grundstück und verkaufte es 1825 an ihren einzigen Sohn Christian Heinrich Berthold, der es 1826 an den Chirurgen Johann Friedrich Walther aus Mosel veräußerte.

Über diesen Christian Heinrich Berthold, von Beruf Strumpfwirker, eine Zeit lang auch Gastwirt, schrieb der Claußnitzer Carl Friedrich Oberländer in sein "Buch zum Einschreiben der merkwürdigsten Begebenheiten": 1852 "den 21. Juni, hatte der sogenannte Doktorheinrich Berthold allhier, einen Erlaubnisschein aus dem Königl. Gerichtsamt Burgstädt erhalten zum Barbieren, Schröpfen und Aderlassen".

Der überlebende Sohn des Christian H. Berthold, Wilhelm Moritz, starb 1916. Er war wie der Vater Strumpfwirker, befaßte sich aber nebenbei mit Zahnextraktionen und wurde ab und zu bei Vieherkrankungen zu Rate gezogen und hieß im Volksmund wieder der " Doktorheinrich." Ob in dieser volkstümlichen Bezeichnung sowie in den Vornamen Christian Heinrich die Erinnerung nachklang an den "Doktor" Christian Heinrich Junghans, der beinahe ein halbes Jahrhundert zum Wohle der Arbeiter und Bauern in Claußnitz gewirkt hatte?



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